Scherenschnitt goes Singapur

Elisabeth Beutler erschafft die grosse Alpenwelt im kleinen Massstab. Dabei hat ihr Simmentaler Handwerk asiatische Ursprünge – ist es da ein Wunder, wurden einige ihrer Schnitte erst gerade in den berühmten «Gardens by the bay» ausgestellt?
Ben Haltmeier

Manchmal lohnt es sich, richtig tief in die Weltkarte hinein zu zoomen: In der Mitte Südostasiens liegt das kleine Malaysia, im Süden Malaysias liegt das winzige Singapur, im Süden von Singapur liegt das 101 Hektar grosse Parkgelände der «Gardens by the bay». In diesem Parkgelände liegt der «Flower Dome», in dieser riesigen Glaskuppel stand bis vor Kurzem noch ein Schweizer Chalet. In diesem Chalet hingen Scherenschnitte, und in den Scherenschnitten tummelten sich filigrane Geissen, Kühe, Berggipfel, Tannen, Käser, Alphornbläser und Fahnenschwinger. Diese feinen Details konnten BesucherInnen bis vergangenen Herbst entdecken – und dabei zeigte sich, dass die Oberländer Preziosen keineswegs quer in der tropischen Landschaft steckten.

Elsbeth Beutler bei der Arbeit @StraitTimes_GinTay
Elsbeth Beutler

"Andere gehen ins Yoga, ich arbeite an meinen Schnitten"

Es war einmal vor 2000 Jahren

Aber nochmals zurück zum Anfang: Manchmal lohnt es sich auch, tief in die Geschichte einzutauchen. Denn der Scherenschnitt stammt ursprünglich aus China, gelangte via Persien und Balkan nach Mitteleuropa und etablierte sich schliesslich im 18. Jahrhundert auch im Berner Oberland. Heute wird die millimetergenaue Kunst gerade im Simmental vielerorts weiter zelebriert. Zu diesem Kreis gehört auch Elisabeth Beutler: Sie hat ihren Scherenschnitt in über 35 Jahren perfektioniert. Dass ihr die Natur dabei viel Inspiration liefert, zeigt sich in ihren überlieferten alpinen Motiven – Silberdisteln, Edelweiss und Bergrosen gehören klar zu ihrem Repertoire. In ihrem Atelier in Matten bei St. Stephan entstehen aber auch mal Bilder wie das der Arche Noah oder von persönlichen Lebensläufen. Geduld mit Schere und Papier ist zentral für Beutlers Handwerk: Bis zu 40 Stunden arbeitet sie jeweils an einem Schnitt, was durchaus seine meditativen Seiten hat: «Andere gehen ins Yoga, ich arbeite an meinen Schnitten», meint die Oberländerin zu ihrer Leidenschaft, die sie gerne auch im Rahmen von Kursen vermittelt.

Miniaturen am Meer

Und apropos weitervermitteln: Manchmal lohnt sich eben auch der Blick über den nationalen Tellerrand. 2025 lancierte Schweiz Tourismus nämlich die Ausstellung «Alpine Adventure» im «Flower Dome» in Singapur. In diesem Rahmen ergab sich die Möglichkeit, nebst eidgenössischen Wahrzeichen wie dem Zürcher Fraumünster oder dem «Glacier Express» eben auch Beutlers Scherenschnitte in den «Gardens by the Bay» auszustellen. Gesagt, getan: Die Oberländerin lieferte für die Schau am Südchinesischen Meer ihre Miniaturen für die Miniaturwelt der Alpen, umgeben von 32’000 Pflanzen. Und so konnten die BesucherInnen entdecken, wie die ursprünglich asiatische Scherenschnittkunst in ihrer Simmentaler Variation zurück zu ihren Wurzeln gelangte. An Aufmerksamkeit mangelte es dabei sicher nicht: «Gardens by the Bay» ist seit der Eröffnung 2011 von über 115 Millionen Gästen durchstreift worden. Entdeckungsfreude wurde im Parkgelände also bereits zur Tradition – eigentlich genau wie in Elisabeth Beutlers Atelier. 

Alpine Adventure bei Gardens by the Bay @Gardens by the bay
Eine Person erklärt den Gästen die Scherenschnitte im Chalet.
Gäste im Adelbodner Chalet